Nun kann ich das wunderhübsche Jugendstädtchen Nancy schon seit
sechs Wochen meine Heimat nennen. Da diese Zeit für einen ersten
Eindruck mehr als ausreicht, möchte ich nun anlässlich der
Blogparade „Augsburg bloggt“ ein bisschen als gebürtige Augsburgerin über das Studentenleben in
Nancy reflektieren.
Eingang des Campus Lettres et Sciences Humaines |
Ganz
nach der Redensart „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ also
zunächst ein Blick auf
die Uni selbst
– auf französisch liebevoll fac
genannt (eine Abkürzung für faculté
=
Fakultät) – ich bin ja
schließlich entgegen aller Erasmus-Klischees nicht nur zum Party
machen hier. *hüstel* Vorweg:
Ich gehe wirklich gerne zur Uni, ich gehe in meinem Studienfach voll
auf und ich finde an sich auch die Uni Augsburg ein ganz nettes
Örtchen zum Studieren: Nicht zu groß, sympathische Dozenten,
spannende Kurse usw. – kurzum, ich fühle mich als eine der wenigen
gebürtigen Augsburger Studentinnen in meiner Heimat sehr wohl. All
diese Faktoren treffen im Grunde auch auf meinen Campus, die Fac
de Lettres, in
Nancy zu. Seit
der Fusion aller möglichen Universitäten im Großraum Nancy-Metz
zur Université de
Lorraine übersteigt
deren Größe die Uni Augsburg zwar
um einiges, jedoch sind
die verschiedenen ehemals eigenständigen
Hochschulen nach wie vor in Nancy und den umliegenden Städten
verteilt, sodass die einzelnen Campi definitiv nicht den Eindruck
einer Massenuni erwecken. Außerdem
wird die gewaltige Anzahl an Studierenden durch die geringe Größe
der Stadt wett gemacht (Nancy selbst kann man innerhalb einer
dreiviertel Stunde zu Fuß durchqueren), was Nancy nochmal einen ganz
eigenen Flair gibt. Augsburg mag sich selbst stolz
'Universitätsstadt' nennen, doch Nancy ist schlichtweg eine
Studentenstadt:
Mehr als jeder fünfte (!)
Einwohner ist Student (zum
Vergleich: In Augsburg
sind es nur etwa 12%)!
Doch zurück zur Uni. Es
mag das französische Unisystem sein, für mich jedoch ein blanker
Schock. Als
Komparatistikstudent in Augsburg ist man selbst im Bachelor so
ziemlich alle Freiheiten gewohnt, die man sich
denken kann. Vom
ersten Semester an hat man die Möglichkeit, sich die meisten Kurse
nach reinem Interesse zu wählen, sie
bestehen meist zumindest zum Teil aus spannenden Diskussionen,
mit etwas Geschick dehnt sich das Wochenende standardmäßig auf
mindestens drei, möglicherweise sogar vier Tage aus und vor zehn Uhr
lässt man sich sowieso nicht auf dem Campus sehen. Darüber hinaus
sind acht Semester Bachelor in der Komparatistik hier in Augsburg keine
Seltenheit und die Worte
„Dann schreibe ich die Hausarbeit halt erst nächstes Semester, was
soll's?“ haben wohl die meisten schon einmal leichten Mutes
propagiert. All das ist in
Nancy undenkbar. Exakt drei Jahre Studium, jedes Semester ein fester, einheitlicher Stundenplan für den ganzen Jahrgang (!), kaum jemand älter als 20
in der Licence
(=Bachelor), reiner
Frontalunterricht, das Wort des Dozenten ist Gesetz und wird
akribisch als Fließtext mitgetippt und die „Klasse“ bricht in
lautstarkes Gequatsche aus, sobald der prof
auf die Frage eines Studenten näher eingeht, was jedoch generell eher selten
vorkommt. Nein, wir sind
nicht in der Schule, das ist tatsächlich das
französische
Studium der Lettres modernes :)
Aber,
aber, ich will mich wirklich nicht beschweren! Schließlich habe ich hier eine einmalige Chance erhalten und werde aus diesen zwei Semestern in Frankreich mit so wundervollen Menschen aus aller Welt so viel mitnehmen, wie nur möglich! Ich
möchte das deutsche Bildungssystem auch definitiv
nicht überbewerten, aber das
Studium hier in Frankreich
ist für unsereins halt
schlichtweg eine ganz nette
Umstellung: In Deutschland habe ich Selbstständigkeit gelernt, in
Frankreich – zumindest in der Uni – muss ich diese wieder zügeln.
Merkwürdige Situation. Und
die Kurse sind an sich ja wirklich
interessant! Seminarthemen wie "Les fictions de l'imaginaire: imaginaire du crime" machen durchaus Lust auf mehr! Deswegen lässt sich auch die Uni hier ein Jahr locker
'ertragen' – vor allem mit den ganzen tollen Nebenerscheinungen,
die das Studium in Nancy mit sich bringt!
Blick auf Nancy |
Église Saint-Léon de Nancy |
Nancy
selbst ist nämlich eine wunderschöne Stadt! Viel
Geschichte, die es in den alten Gemäuern zu entdecken gibt, ist der
Augsburger ja gewohnt (was sie allerdings nicht weniger spannend
macht!), doch wenn man
nach Feierabend der Omi mit Béret und
dem obligatorischen
Baguette unter dem Arm
hinterher
läuft, oder wenn
einem von
jedem größeren Platz die verspielten
Töne der typisch
französischen Musette ans Ohr dringen, dann
kann man sich nicht bloß in all
den französischen
Klischees bestätigt sehen, sondern erlebt auch am eigenen Leib
dieses einzigartige,
entspannende Ambiente.
Tatsächlich ist auch
der Umgang der Menschen hier sehr herzlich, es wird viel gegrüßt, noch mehr gedankt
und grundsätzlich sehr gerne miteinander geredet. Mag sich auch
(worin sich die meisten Erasmus-Studenten einig sind) die
Kontaktaufnahme zu den einheimischen Studienkollegen als durchaus
schwierig erweisen – Deutsche gelten hier als sehr offen und
redselig! *verkehrte Welt*
–, so ist der erwachsene
(als was man die meisten Bachelor-Studenten hier
noch nicht bezeichnen kann) Durchschnitts-Nancéien
immer für ein
Schwätzchen zu haben. Und spätestens,
wenn man an einem ruhigen Spätsommerabend gemütlich am Place
Stanislas, dem
absoluten Stolz und Zentrum der Stadt, sitzt und die prächtige
Kulisse auf sich wirken lässt, dann kommt
doch ein bisschen Urlaubsfeeling auf.
Und es schleicht sich ein gewisser Stolz ein, hier tatsächlich
zuhause sein zu dürfen –
wenn auch nur für
eine recht kurze
Zeit.
Musée des Beaux Arts – Place Stanislas |
Umgrenzung des Place Stanislas |
Drei deutsche Mädels auf dem Place Stanislas – Grüße aus unserer neuen Wahlheimat! :) |
Dieser Beitrag ist Teil der ersten Augsburger Blogparade „Augsburg bloggt“. Mehr Infos zum Projekt unter https://ichbinaugsburg.wordpress.com.
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